Ereignishorizont Digitalisierung - Journalismus

Der Journalismus ist tot! Lang lebe der Journalismus!

In China hat die Nachrichtenagentur Xinhua auf der World Internet Conference den ersten, vollständig animierten, virtuellen Nachrichtensprecher vorgestellt. Der Nachrichtensprecher (vgl. nachfolgendes Video) ist männlich und zeigt Gestik und Mimik wie man sie von echten Menschen kennt. Seine Mundbewegungen werden automatisch so gestaltet, dass diese zu den vorzulesenden Nachrichtenmeldungen bzw. den enthaltenen Wörtern passen. Zwar ist der Nachrichtensprecher bei genauem Hinsehen noch als animiertes Objekt erkennbar. Schon bald soll er aber Nachrichten so präsentieren, dass tatsächlich kein Unterschied zu einem echten Menschen mehr erkennbar ist.

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Video: Animierter Nachrichtensprecher präsentiert Nachrichten.

Das Beispiel aus China zeigt, dass auch der Journalismus und damit Journalisten sich mit gravierenden TECHNOLOGISCHEN Veränderungen konfrontiert sehen. Dabei geht es nicht nur um die Ersetzung niemals müde werdender Nachrichtensprecher. Im Fokus steht insbesondere die automatische Erstellung von Texten durch Software, die auch auf Verfahren der Künstlichen Intelligenz (KI) zurückgreift. Entsprechende Lösungen werden unter dem Begriff Roboterjournalismus zusammengefasst.

Was ist Roboterjournalismus?

Die Website journalistikon.de definiert: „Unter Roboterjournalismus versteht man von Computerprogrammen automatisch generierte journalistische Texte. Grundlage bilden strukturierte und in der Regel aktuelle Daten sowie Textbausteine, die vorab erstellt worden sind. Ein Algorithmus bildet das zentrale Element der Software.“ Im Roboterjournalismus kommen also nicht Roboter zum Einsatz, wie sie z. B. für die Automatisierung von Produktionsabläufen in der Industrie eingesetzt werden.  Roboter im Roboter-Journalismus sind „nur“ Softwareprogramme.

Das Funktionsprinzip ist vergleichsweise einfach:

In vorbereiteten Lückentexten werden Lücken gezielt mit passenden Textelementen ergänzt. Unter Einbeziehung von vorliegenden strukturierten Daten (z. B. zu Fußballspielen) werden einzelne Textbausteine (z. B. zu erzielten Toren) erstellt, die dann anschließend miteinander zu einem Bericht (z. B. einem Spielbericht zu einem Fußballspiel) verknüpft werden. Besonders intelligente Lösungen können auch variierende Texte erstellen und selbständig (z. B. im Internet) nach weiteren, auch weniger strukturierten Daten (z. B. Zitaten von Spielern oder dem Trainer) suchen und diese dann ebenfalls in den Text einbauen.

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Video: Roboter-Journalismus.

Eine wachsende Zahl von Anbietern bietet entsprechende Werkzeuge an. Die Firma „Automated Insights“ aus den USA bietet beispielsweise Lösungen zur automatisierten Verfassung von Sportberichten und beliefert damit die so statistikverliebten amerikanischen Sportfans. Das Unternehmen „Narrative Science“ aus Chicago wurde von Journalisten und Software-Ingenieuren gegründet und bedient Medien- und Webdienste, beispielsweise den Wirtschaftsdienst forbes.com. In Deutschland bekannt ist die Stuttgarter AX Semantics GmbH, die KI-Assistenten zur Textanalyse und Lösungen zur automatisierten Erstellung von Texten in 110 Sprachen anbietet (vgl. nachfolgende Abbildung).

Abbildung: Wie aus Produktdaten Produkttexte werden (Screenshot AX Semantics).

Wo wird Roboterjournalismus eingesetzt?

Besonders geeignet für Roboterjournalismus sind Bereiche, in denen viele und sehr stark strukturierte Daten oder Statistiken vorliegen, die dann automatisiert in vorbereitete und variierende Lückentext-Textbausteine eingesetzt werden können.

Typische solche Bereiche sind:

Warum wird Roboterjournalismus eingesetzt?

Die Medien- und Verlagsbranche steht seit Jahren unter einem extremen Druck. Die Reichweite gedruckter Produkte sinkt fortwährend und immer stärker. Der Kostendruck ist dadurch gewaltig. Die Konkurrenz durch das Internet erfordert gleichzeitig einen immer schneller werdenden Journalismus. Aktualität steht schon heute oft vor akkurater, geprüfter Information. Gerade für kleinere Verlags- und Medienhäuser bietet der Roboterjournalismus die Chance, zu vergleichsweise geringen Kosten viele Inhalte zu erstellen und zu veröffentlichen.

Dazu der Hamburger Journalistik-Professor Thomas Hestermann in einem Interview mit dem Online-Portal meedia: „Selbst nach dem siebten Provinzsportartikel und auch in tiefster Nacht wird sie [Anmerkung: also die Software]nicht müde und wiederholt sich nicht, sondern mischt ganz geschmeidig weiter. Das führt dazu, dass in der Massenproduktion Maschinen teilweise sogar besser abschneiden als Menschen – was bitter ist, aber es ist leider so.

Hestermann fügt jedoch sofort einschränkend hinzu: „Aber man sollte den Roboter-Journalismus nicht überschätzen. Die Maschinen können uns bei den Routinen entlasten, aber gute Porträts oder Reportagen schreibt immer noch der Mensch. Mit intelligentem Maschineneinsatz könnten Journalisten Zeit gewinnen, das zu machen, was sie wirklich können: Informationen zu recherchieren, sie aufzuarbeiten, Geschichten zu erzählen und Menschen zu faszinieren.

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Video: Can A.I. Replace Human Journalists? | Angam Parashar.

Roboterjournalismus und gesellschaftspolitische Verantwortung

Tatsächlich führt  Roboterjournalismus auch zu grundlegenden Fragen, die über das reine Kostenargument hinausgehen. So fragt A. Fanta in seinem Artikel „Roboterjournalisten retten die Lokalpresse. Wer rettet uns davor?“ bei netzpolitik.org völlig richtig: Wie wirkt es sich auf den öffentlichen Diskurs aus, wenn Algorithmen immer mehr solcher Texte generieren? Fanta schreibt dazu: „Automatisierung macht die Massenproduktion von etwas möglich, das bisher Handwerk war.“ Trotzdem gilt: „Roboterjournalismus wird nie völlig neutral sein, denn die Vorlagen, auf deren Basis die Software Texte schreibt, zeigen die politischen Neigungen ihrer menschlichen Erzeuger. Das ist schwer zu umgehen, denn wenn der Algorithmus eine Schlagzeile wählt, muss er unweigerlich eine Seite der Geschichte der anderen bevorzugen.

Dass auch intelligente Maschinen sich diskriminierend verhalten können, wurde an anderer Stelle in diesem Blog bereits thematisiert. In eine ähnliche Kerbe schlägt auch Dr. Stefan Frerichs in (s)einem Aufsatz zum Thema: „Die wachsende Bedeutung von Roboterjournalismus sollte nicht zu dem Trugschluss führen, dass dadurch die Berichterstattung im Allgemeinen oder die Nachrichten im Besonderen automatisch neutraler oder objektiver werden. Daten sind keineswegs neutral, weil sie jeweils in ihren Zusammenhängen betrachtet und richtig interpretiert werden müssen. Redaktionen sollten deshalb beim Einsatz von Nachrichten-Bots die Datenquellen offenlegen und die Zuverlässigkeit der Daten regelmäßig prüfen. Grundsätzlich sollte die Arbeit von Bots auch im laufenden Routinebetrieb ständig überwacht werden.

Das tatsächlich Handlungsbedarf besteht, zeigt auch eine Umfrage von NextMedia.Hamburg. 49 Prozent der befragten Teilnehmer sehen automatisiert erstellte Nachrichten als eher kritisch, 28 Prozent lehnen diese Art von Nachrichten sogar ganz ab. Nur drei Prozent halten Roboterjournalismus für sinnvoll. Gefragt wurde auch zur generellen Glaubwürdigkeit automatisierter Nachrichten: 43 Prozent halten solche Meldungen für unglaubwürdig. 18 Prozent für glaubwürdig. 39 Prozent trauen sich nicht zu, die Sachlage richtig einzuschätzen. Entsprechend nachvollziehbar ist: 91 Prozent der Befragten sprechen sich für eine Kennzeichnung von automatisiert erstellten Artikeln aus. Letzteres fordert auch der Deutsche Journalistenverband: „Quellentransparenz stärkt die Glaubwürdigkeit journalistischer Medien. Deshalb: Ja, es muss klar erkennbar sein, wenn ein Text automatisiert generiert wurde.

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Video: Roboterjournalismus – Wenn Algorithmen Nachrichten machen.

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