Ereignishorizont Digitalisierung - Homo Deus

Wie die Digitalisierung uns Menschen zu Gott erhebt!

Eines der faszinierendsten und einflussreichsten Bücher der letzten Jahre stammt aus der Feder von Yuval Noah Harari, Professor für Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem. In seinem Buch „Homo Deus“ [1] beschäftigt er sich mit der Entwicklung der Menschheit. Beginnend in der Vergangenheit, diskutiert er den heutigen Status Quo, und wagt Prognosen zu dem, was die Zukunft bringt. Pflichtlektüre für Gestalter und Entscheider der Digitalen Transformation.

Eine kurze Geschichte der Menschheit

Die Geschichte des Menschen, des Homo Sapiens, begann vor über 300.000 Jahren. Zumindest lassen die frühesten fossilen Belege aus Afrika den Rückschluss auf dieses Alter zu. Ein Wimpernschlag, gemessen am geschätzten Erdalter von über 13,6 Milliarden Jahren.

Harari unterteilt die Geschichte der Menschheit in drei grundlegende Phasen [1]:

  1. Den Animismus (ab ca. 70.000 Jahren v. Chr.)
  2. Die landwirtschaftliche Revolution (ab ca. 10.000 Jahren v. Chr.)
  3. Die wissenschaftliche Revolution (ca. ab dem Jahr 1.500 n. Chr.)
YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Video: Yuval Harari – Ein Historiker erzählt die Geschichte von morgen.

Phase 1: Animistische Weltsicht – Die Welt ist allbeseelt!

Die Geschichte des Menschen mag vor 300.000 Jahren begonnen haben. Erst vor ungefähr 70.000 Jahren begann jedoch die Entwicklung des Menschen rasant Fahrt aufzunehmen. Eine kognitive Revolution schuf die Grundlage für die bis heute ungebrochene Dominanz des Homo Sapiens auf der Erde.

Der Mensch entwickelte die Sprache und mit ihr die ersten Legenden und Mythen, aber auch Werte und Normen, Wissen und Religionen. Aus dieser Zeit stammen auch die ersten menschlichen Schmuckstücke und Kunstobjekte. Es waren die Legenden und Mythen, die Werte und Normen, das Wissen und Religionen, die zusammen entscheidende Voraussetzung für den Aufbau komplexer, aber geregelter sozialer Strukturen waren, die wir heute als Kulturenbezeichnen.

Wesentliches Merkmal der spirituell-religiösen Vorstellungen dieser Phase war die Vorstellung einer “Allbeseeltheit”. Die Welt gehörte all ihren Bewohnern und alle folgten dem gleichen Regelwerk. Zu den Bewohnern gehörten dabei nicht nur Menschen und Tiere, sondern auch Feen, Dämonen und Geister. Es gab auch keine Kluft zwischen dem Menschen und Tieren. Stattdessen wurde allen Objekten der Natur, also nicht nur ihren Bewohnern, sondern auch Pflanzen, Quellen, Felsen und Bergen, eine individuelle Seele oder ein innewohnender Geist zugesprochen. Jedes Objekt hatte eine eigene Lebenskraft, einen eigenen Willen und folgte den gleichen naturgegebenen Regeln.

Diese erste Phase der Menschheit wird auch als Animismus bezeichnet. Allmächtige, (mono-)theistische Götter existierten in der Vorstellung der Menschen damals nicht.

Phase 2: Die Agrarrevolution – Beherrschung der Tiere 

Auf die animistische Phase, in der die Menschen als Jäger und Sammler lebten, folgte die landwirtschaftliche Revolution. Die wachsende Zahl an Menschen erforderte neue Ideen und Konzepte, um zu überleben. Klassische, nomadisierende Jäger- und Sammler-Gemeinschaften hatten zunehmend Schwierigkeiten ausreichend Nahrung zu finden. Als Lösung begann der Mensch mit Ackerbau, er domestizierte Wildtiere, betrieb Viehzucht und entwickelte die Vorratshaltung von Lebensmitteln. Dazu errichtete der Mensch feste Siedlungen. Einhergehend mit der landwirtschaftlichen Revolution entstanden Eliten, die weniger privilegierte Menschen gleichzeitig schützten und ausbeuteten. Gefestigt wurden diese hierarchischen Strukturen durch kulturelle oder religiöse Ordnungen und Hilfsmittel wie Zahlensysteme und Schrift.

Im Rahmen der landwirtschaftlichen Revolution entstanden das erste Mal unzählige theistische Religionen, die behaupteten, das Universum sei kein „Parlament von Lebewesen“, wie Harari [1, S. 127] es beschreibt, „sondern eine Theokratie, die von einer Gruppe großer Götter regiert werde – oder vielleicht auch nur von einem einzigen GOTT“. Tatsächlich werden animistische Vorstellungen mit dem Aufkommen theistischer Religionen konsequent abgelehnt. Beispiel Christentum: Nur ein einziges Mal kommt der Mensch mit einem Tier ins Gespräch – als die Schlange im Garten Eden Eva verführen will, von der verbotenen Frucht der Erkenntnis zu essen.

Ziel der theistischen Religionen war es, die nun gelebte Ausbeutung der Tiere zu rechtfertigen, also denjenigen Bewohnern der Erde, mit denen die Menschen zuvor jahrtausendlang in spiritueller Einheit lebten. Eine solche Rechtfertigung war allerdings nur möglich, wenn gleichzeitig die Bedeutung des Menschen so stark aufgewertet wurde, dass dessen Beherrschung der Tiere legitim schien und nicht mehr hinterfragbar war. Die Ansätze waren unterschiedlich, aber immer ähnlich: So gab zum Beispiel das Christentum nur dem Menschen eine unsterbliche „Seele“, während Tiere keine solche hatten, was sie wiederum zu Komparsen abstempelte. Harari schreibt [1, S. 135]: „Während der landwirtschaftlichen Revolution hat die Menschheit die Tiere und Pflanzen zum Schweigen gebracht und die opulente Oper des Animismus in einen Dialog zwischen Menschen und Göttern verwandelt.

Phase 3: Die wissenschaftliche Revolution – Der Göttertod!

Der landwirtschaftlichen Revolution folgte schließlich die wissenschaftliche Revolution, in der der Mensch schließlich nach den Tieren, auch die Götter zum Schweigen brachte. Harari schreibt [1, S. 135]: „Die Welt war nunmehr eine One-Man-Show. Die Menschheit stand ganz allein auf einer leeren Bühne, sprach mit sich selbst, verhandelte mit niemandem und erwarb enorme Macht ohne irgendwelche Verpflichtungen. Nachdem sie die stummen Gesetze der Physik, Chemie und Biologie entschlüsselt hat, verfährt die Menschheit mit ihnen jetzt so, wie es ihr gefällt.

Im Rahmen der wissenschaftlichen Revolution treten die Menschen also an die Stelle der Götter. Harari spricht von einer humanistischen Religion, in der die Wissenschaft den Menschen zu Gott erhebt! Homo Deus!

Das dies durchaus auch kritisch zu hinterfragen ist klar!   

Phasen der Menschheit

Abbildung: Die Entwicklung der Menschheit in drei Phasen.

Wo geht die Reise hin?

Im Rahmen der wissenschaftlichen Revolution, so Harari, werden drei wesentliche Entwicklungen zu beobachten sein [1, S. 413]:

  1. Der technologische Fortschritt führt dazu, dass Menschen ihren wirtschaftlichen und militärischen Nutzen verlieren, weshalb das ökonomische und das politische System den Menschen nicht mehr viel Wert beimessen werden.
  2. Der Mensch wird nur mehr als Kollektiv, als Ganzes, wertgeschätzt, also nur noch als Menschheit. Der einzelne Mensch erfährt keinerlei Wertschätzung mehr als einzigartiges Individuum.
  3. Nach wie vor werden einige wenige einzelne menschliche Individuen wertgeschätzt. Dabei handelt es sich allerdings um eine neue Elite „optimierter Übermenschen“ und nicht mehr um die Masse der Bevölkerung.
YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Video: Yuval Harari – The Challenges of The 21st Century.

Die Kernthese von Harari ist äußerst kontrovers, aber bemerkenswert konsequent:

Technologischer Fortschritt und Digitalisierung bringen am Ende eine gesellschaftliche Klasse „ohne Nutzen“ hervor. Nutzlose Menschen. Eine „global useless class“ wie es Harari erschreckend nüchtern formuliert.

Ursache ist, dass Maschinen und Künstliche Intelligenz (KI) immer mehr und mehr Aufgaben von Menschen übernehmen. Viele Milliarden Menschen auf unserem Planeten werden nicht mehr arbeiten. Nicht weil Sie es nicht wollen, sondern weil sie schlicht nicht mehr beschäftigbar sind. Harari dreht somit die häufig genannte These der „Technologie als ultimativem Heilsbringer“ um und benennt vielmehr den technologischen Fortschritt als Ursache einer schwierigen menschlichen Zukunft.

Die resultierende wichtigste Frage des 21.Jahrhunderts gemäß Harari:

Was tun all die nutzlosen Menschen?

Der technologische Fortschritt mag dazu führen, dass auch Menschen ohne ökonomischen Wert ohne jede Anstrengung von derer Seite problemlos ernährbar sind. Stichwort bedingungsloses Grundeinkommen. Aber womit werden sie sich beschäftigen? Was befriedigt sie? Was werden sie den ganzen lieben langen Tag machen? Ehrenamtliches Engagement? Musik? Kunst? Sozialarbeit?

Auch komplexere politische Fragestellungen stellen sich: Wenn Menschen ihre ökonomische Bedeutung verlieren, sind dann Menschenrechte und Freiheiten weiterhin rechtfertigbar? Hat auch die Demokratie eine Zukunft?

Klare Antworten auf diese dringlichen Fragen sind aktuell nicht wirklich absehbar!

Literatur

[1] Y. N. Harari: „Homo Deus: Eine Geschichte von Morgen“. C. H. Beck, 2017.

Geschrieben von